Als künstlerischer Autodidakt verliert Hans Kaiser entscheidende Jahre seiner künstlerischen Entwicklung in der Zeit der NS-Didaktur. Als der Zweite Weltkrieg 1945 endet, ist Kaiser bereits 30 Jahre alt, steht in der künstlerischen Entwicklung aber noch am Anfang, da er mehr als ein Jahrzehnt beinahe gänzlich von den Entwicklungen der modernen und zeitgenössischen Kunst abgeschnitten war. Entsprechend stehen die Nachkriegsjahre im Zeichen eines künstlerischen „Aufholens der Modern“ . In der intensiven Auseinandersetzung mit den Klassikern der Moderne wie den Tendenzen der zeitgenössischen Abstraktion präsentiert sich sein Werk als ein Durchlaufen der modernen Kunstgeschichte „im Schnellkurs [...], vom Impressionismus über den Expressionismus und Kubismus bis zur Abstraktion.“ (Zdenek Felix).

Anfang der 1950er Jahre reist Kaiser mehrfach nach Paris, das europäische Zentrum der zeitgenössischen Kunst. Sein Blick gilt aber nicht nur seinen Zeitgenossen, den abstrakten Künstlerinnen und Künstlern der Nouvelle École de Paris, sondern auch bereits kanonisierten Positionen der Moderne, so auch Henri Matisse. 

So wie er sich in anderen Serien mit van Gogh oder den Kubisten auseinandersetzt, so erweist Kaiser 1951 mit einer Reihe von Portraits seiner Frau Hilde dem Maler Matisse seine Reverenz. Mehrfach malt er sie mit deutlichem Bezug auf das Vorbild Matisse, vor allem dessen ikonische Darstellung der Madame Matisse (La Raie verte) von 1905 mit ihrem farblich zweigeteilten Gesicht.

Hilde mit Anemonen, 1951, Tempera auf Papier, 85,5 × 60,5 cm, Märkisches Museum Witten
Hilde mit Anemonen, 1951, Tempera auf Papier, 85,5 × 60,5 cm, Märkisches Museum Witten

In anderen Darstellungen verweisen etwa die von Matisse vielfach dargestellten Anemonen auf das Vorbild. Zugleich deutet sich in der Auflösung des Bildraumes in gestisch bewegte Farbflächen die spätere Entwicklung Kaisers an, der auch in seinen informellen Arbeiten die Dynamik der Geste immer in Relation zum Wechselspiel der Farben setzt.

Text: Justus Beyerling